Impfkampagne – oder wie man eine Spritze nicht bewirbt
Geschrieben von: Merle Keiser
Wenn ich mit dem Fahrrad durch die Bremer Neustadt fahre, sehe ich sie überall: Plakate. An prominenten Stellen platziert, kündigen sie Veranstaltungen an oder bewerben neue und bekannte Produkte und Marken. Vor ein paar Monaten startete auch das Bundesministerium für Gesundheit eine Plakat-Kampagne. Sie warben für die Einhaltung der AHA-Regeln und riefen zum Download der Corona-Warn-App auf. Ja, genau die App, die mittlerweile in der hintersten Ecke meines Handys ungenutzt schmorrt. Aber Plakate, die fürs Impfen werben? Fehlanzeige. Dabei erscheint es mir dringend notwendig, mit dem nächsten sehr wichtigen Schritt an die Öffentlichkeit zu treten, um dem Pandemie-Spuk langsam ein Ende zu setzen. Ich frage mich also, warum wir nicht mit Werbung für die wichtige Spritze zugeschüttet werden?
Ein Fünftel der Deutschen ist schon geimpft
Was mich positiv stimmt: Die Impfungen steigen. Mittlerweile haben laut Bundesministerium für Gesundheit 20,2 Prozent der deutschen Bevölkerung mindestens ihre erste Impfdosis erhalten. Allerdings ist das im internationalen Vergleich wenig. Großbritannien hat beispielsweise eine Impfquote von knapp über 48 Prozent, in Israel sind es sogar mehr als 61 Prozent.
Was ist der Grund dafür, dass Deutschland in diesen Vergleichen immer wieder so schlecht dasteht? Im letzten Jahr konnten wir durch die niedrigen Todeszahlen glänzen, dieses Jahr sind wir die Impf-Schnecken. Liegt es eventuell auch an fehlenden groß angelegten Impfkampagnen?
PR-Gags und gemeinsame Frustation im Internet
Die Benennung des AstraZeneca-Impfstoffs in »Vaxzevria« habe ich Ende März zunächst als schlechten PR-Gag aufgefasst. Ich vermutete, man hätte dem Impfstoff einen neuen Namen aufgedrückt, um das Image des Impfstoffherstellers zu verbessern. Tatsächlich umbenannt wurde das Vakzin jedoch nicht.
Die Vergabe eines Namens an einen Impfstoff abseits des Firmennamens ist ganz gewöhnlich. So hat beispielsweise auch der Impfstoff von BioNTech und Pfizer einen Namen: Comirnaty. Trotzdem haben sich auch im Internet viele andere einen Spaß aus der »Umbenennung« gemacht. Extra3 zog einen Vergleich zu der Umbenennung von Raider in Twix.
Auch auf Twitter äußerte ein Nutzer seinen Frust über die zu leise bleibenden Impfkampagnen: »Wie kann es sein, dass jeder von uns die verdammte Seitenbacher Werbung kennt, oder ‚Waschmaschinen leben länger mit Calgon Pling Pling‘ singen kann, aber so viel Unwissen und vor allem Unsicherheit herrscht, wenn es um die Impfungen geht?« (@Chemguy2_0). Ich habe den Tweet direkt geliket – genau wie knapp 1.500 andere Nutzer. Wir sind gemeinsam frustriert. Da muss man doch was machen können.
Die Kampagne #ÄrmelHoch
In einer anderen Ecke auf Twitter berichten Leute währenddessen unter dem Hashtag #ÄrmelHoch von ihrer Corona-Impfung. #ÄrmelHoch? Das ist die gemeinsame Impfkampagne vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem Robert Koch Institut (RKI) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).
Seit Ende 2020 läuft die 25 Millionen Euro schwere Kampagne. Sie besteht aus Videoclips, Radiospots, Plakaten, Flyern und Informationsblättern. 12 Millionen Euro flossen direkt in die Plakatkampagne. Obwohl in einem Artikel im Spiegel die Fernsehkampagnen für den 28. Dezember angekündigt wurde, lief diese erst nach Ostern an. Mit dabei: »Impfluencerin« Uschi Glas. Jetzt fällt sie mir wieder ein. Die einzige Impfwerbung, die mir je zu Gesicht gekommen ist. Über eine Minute geht der Spot, in dem Uschi Glas Hoffnung auf ein Leben ohne Corona macht – durch die Impfung.
Die gleiche Kampagne will außerdem mit weiteren bekannten Gesichtern werben. So werden beispielsweise Günther Jauch und Sepp Maier unter dem Motto »Deutschland krempelt die #ÄrmelHoch« ihre Gründe nennen, sich impfen zu lassen.
Handballer und AOK starten Impfkampagne
Als ich am 12. März zur Olympia-Qualifikation der deutschen Handballmänner den Fernseher einschaltete, fiel mir der neue Aufdruck auf den Trikots auf. Neben dem Logo des Sponsors AOK war der Slogan »Impfen rettet Leben« zu lesen. Damit möchten der Deutsche Handballbund und die AOK gemeinsam versuchen, die Impfbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen.
Auch auf dem Instagram-Kanal vom Deutschen Handballbund erscheinen einige Posts zu dieser Kampagne. Die Handballprofis präsentieren sich neben ihren Gründen für die Impfung. So sieht man beispielsweise Fabian Wiede mit »Die Impfung ist ein großer Wurf für uns alle« und Hendrik Pekeler gibt folgendes Statement: »Ich lasse mich impfen, damit ich meine Oma endlich wieder drücken kann«.
Doch in den Kommentaren hagelt es Kritik. Es würde den Handballern nur ums Geld gehen. Handball dürfe sich nicht politisch positionieren. Die Impfkampagne scheint nicht von allen gerne gesehen zu sein. Dabei macht sich auch die Kampagne #ÄrmelHoch prominente Gesichter zunutze. Diese sollen durch eine Vertrautheit überzeugen. Als würde ein guter Freund, den man schon fünf Jahre kennt, von seiner Vorfreude auf die Impfung berichten.
Mir gefällt die Werbung. Aber bei mir gibt es auch nichts, was noch überzeugt werden müsste.
»Nie wieder 2020: Lasst euch impfen«
Wovon ich allerdings gar nichts mitbekommen habe: Auch die Unternehmensgruppe Noventi startete im Frühjahr 2020 eine Impfkampagne. Noventi ist der größte Anbieter für Warenwirtschaftssysteme für Apotheken in Deutschland.
Zusammen mit der Bild, WallDecaux und Facebook als Medienpartner, erschien die Kampagne in den fünf in Deutschland am meisten gesprochenen Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Türkisch. Unterstützt wird sie von den Impfstoffherstellern BioNTech, CureVac, Artes Biotechnology und IDT Biologika. Das Motto dahinter: »Nie wieder 2020: Lasst euch impfen«.
Die Kampagne macht es sich zum Ziel, die Impfbereitschaft in der Bevölkerung durch Aufklärung über die Impfungen zu erhöhen. Unter dem Namen »Initiative gegen Corona« möchte die Kampagne darauf hinweisen, dass auch in der aktuellen Corona-Krise die lokalen Apotheken als Berater und Ansprechpartner dienen. Diese Kampagne besteht aus mehreren Plakaten, die an alle 19.000 Apotheken in Deutschland zum Aushang im Schaufenster geliefert werden. Dadurch soll ein Fokus auf Apotheken als Informationsquelle über die Corona-Impfung gelegt werden.
Ihr Kinderlein kommet und lasset euch impfen
Eine Gemeinsamkeit in den Impfkampagnen kann ich nun ganz klar erkennen. Alle sprechen von der Erhöhung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung. Aber wie hoch ist diese überhaupt?
Da kann ich Positives berichten: Laut einer Studie von YouGov ist die Impfbereitschaft seit dem Impfstart Ende Dezember stetig angestiegen. 68 Prozent der Befragten würden sich Stand 24. März 2021 impfen lassen oder wurden bereits geimpft. Dies steht entgegen den 51 Prozent, die diese Angabe noch im Dezember machten.
Auch hier fällt der europaweite Vergleich jedoch nicht so rosig aus. Von den zehn in Betracht gezogenen Ländern steht Deutschland als vorletzter da. Vor Frankreich mit einer aktuellen Impfbereitschaft von 49 Prozent. Am höchsten ist diese – wie zu erwarten – in Großbritannien mit 86 Prozent. Dicht gefolgt von Dänemark.
Aber wie viel impfen müssen wir?
Ausbaufähig ist die Impfbereitschaft in Deutschland also allemal. Vor allem da die Impfquote, bei der eine Herdenimmunität erreicht ist, von mehreren Faktoren abhängt. Angegeben wird hier meist die magische Zahl von 66 Prozent. Laut dem Wissenschaftsmagazin vom WDR Quarks sorgen die Virusmutationen mit ihrer schnelleren Verbreitung dafür, dass eine höhere Impfquote angestrebt werden muss. Abhängig ist die Herdenimmunität nämlich von dem R-Wert. Also davon, wie viele weitere Menschen ein Infizierter ansteckt. Dieser ist bei allen drei bekannten Virusmutationen erheblich höher.
Folglich müssten 90 Prozent der gesamten Bevölkerung gegen das Virus immun sein, damit eine Herdenimmunität eintritt. Die momentane Impfbereitschaft von 68 Prozent reicht in diesem Fall längst nicht aus. Selbst in Großbritannien würden hier noch einige Prozentpunkte fehlen.
Also plakatiert eure Wohnungen
Damit steht für mich fest: Irgendwie muss die Impfbereitschaft in Deutschland erhöht werden. Und hier sollen nun die Impfkampagnen helfen. Alle drei genannten machen sich dies zum obersten Ziel. Und es lässt sich auch eine langsam positive Entwicklung erkennen. Ob dies auch den Impfkampagnen zuzuschreiben ist, bleibt ungeklärt.
Es lässt sich allerdings festhalten, dass sie bis jetzt noch sehr leise bleiben. Bis zum Start der Fernsehwerbung von #ÄrmelHoch mit Uschi Glas waren die Impfkampagnen meist nur in Hinterecken des Internets zu finden. Von Werbeplakaten an Haltestellen keine Spur. Anstelle dessen waren die Plakate als Download im Internet zu finden. So könnte ich also meine ganze Wohnung plakatieren, während in der Stadt weiter für Click&Collect geworben wird.
Ladet die Marketingkanonen!
Dabei ist mir eins durchaus bewusst: Die Impfung ist bis jetzt noch nicht der breiten Bevölkerung zugänglich. Es werden momentan nur priorisierte Gruppen geimpft. In nächster Zeit sollen jedoch sowohl die Impfstofflieferungen steigen als auch die flächendeckende Impfung in Hausarztpraxen. Spätestens dann wäre eine aufmerksamkeitserrregende Impfkampagne von Vorteil. Eine Impfkampagne, die nicht zu übersehen ist.
Natürlich kann ich verstehen, wenn man nicht direkt alles Pulver verschießen will, wenn es noch nicht für alle möglich ist, sich impfen zu lassen. Aber wenn man auf die Versprechen der Bundesregierung vertraut, soll diese Möglichkeit bald bestehen. Und dann muss alles gegeben werden, um für die Impfungen zu werben. Damit das Ziel der Herdenimmunität erreichbar ist. Damit wir alle die #ÄrmelHoch krempeln, um »Nie wieder 2020« zu haben und um Leben zu retten.
Ach ja, wenn also noch Ideen benötigt werden, um mit einer starken Kampagne zu trommeln: Ich mache derzeit ein Praktikum in so einer Werbeagentur …